Durchhaltevermögen auf die Probe gestellt, Motivation zwischenzeitlich verloren aber Hoffnung nie aufgegeben, mit Beamten aus drei Bezirken verhandelt (ohne auch nur ein Wort vietnamesisch zu sprechen), Geschichten erlebt um ganze Bücher zu füllen – die Vorbereitung unserer Solarprojekte in Vietnam wurden völlig unerwartet zu einer riesigen Herausforderung.
Zwischenzeitlich konnte eigentlich nur noch eines passieren: ein Wunder! Ein spannender Artikel über Vietnam, den Einfluss Chinas und unsere Einblicke in eine andere Welt… 🙂
Inhaltsverzeichnis
In 100 Solaranlagen um die Welt
Mit unserem gemeinnützigen Verein SunHelp International e.V. haben wir das große Ziel, während unserer Weltreise mindestens 100 Solaranlagen in Entwicklungsländern zu installieren.
Doch ein solches Vorhaben ist extrem zeitintensiv und bedarf einer gründlichen Vorbereitung, das konnten wir bereits bei unseren vergangenen Projekten erfahren.
Aber die wahren Ausmaße der aktuellen Projekte in Vietnam hätten wir uns davor niemals erträumen lassen. Und so kam es, dass wir ganze vier Wochen in Vollzeit mit der Organisation beschäftigt waren…
Hier ein Video über unser großes Ziel: In 100 Solaranlagen um die Welt.
Alles begann in der kleinen Küstenstadt Mui Né. Nach den erfolgreichen Projekten in Kambodscha, wollten wir auch in Vietnam wieder rauf auf die Dächer und Solaranlagen installieren.
Noch nie zuvor in unserem Leben hatten wir das Gefühl eine sinnvollere und erfüllendere Tätigkeit zu machen als diese. Armen Menschen ohne Stromzugang Licht zu schenken hat uns mindestens so glücklich gemacht wie es die Betroffenen selbst waren, nachdem sie das erste Mal den Lichtschalter anknipsen durften.
Also nahmen wir uns in Mui Né die Zeit um alles in die Wege zu leiten. Tatsächlich haben wir es währenddessen nicht nur geschafft geeignete Solarprojekte in einer der ärmsten und abgelegensten Regionen des Landes zu finden, sondern auch Sponsoren aus Deutschland dafür zu gewinnen. Darüber hinaus hat Sebastian in den zwei Wochen unsere komplette Vereinsseite einmal neu aufsetzt.
Und als wir wenige Wochen später in die Hauptstadt Hanoi kamen, (so dachten wir) müssten eigentlich nur noch die Solaranlagen gekauft werden… Ein Kinderspiel also, oder? 😉
Der Vorbereitungskrimi beginnt
Dass es in Vietnam keine passenden Solaranlagen geben könnte, darüber haben wir nicht ein einziges Mal nachgedacht. Im Gegenteil. Wir waren der Überzeugung: In der Hauptstadt geeignete Module zu finden würde uns höchstens ein paar Stunden in Anspruch nehmen…
Drei Tage später mussten wir dann ernüchtert feststellen, dass diese Annahme eine gnadenlose Fehleinschätzung war.
Doch wie heißt es so schön: Man kann nicht verlieren, sondern nur dazulernen. Und so hielten die Solarprojekte in Vietnam noch die eine oder andere Lektion für uns parat.
- Lektion Nr. 1: Solarsyteme im Norden Vietnams zu finden ist kein Kinderspiel!
Ganz Hanoi ist ein riesiger Marktplatz und in jeder noch so kleinen Straße wird jeweils eine andere Produktgruppe verkauft. So gibt es beispielsweise Gassen in denen es nur Geschirr, Weihnachtsmützen, Metallgestelle, Bambusleitern oder Kaffee zu kaufen gibt. Und für uns war ganz klar: Wir müssen lediglich die Straße der Technik finden.
Nichts leichter als das und wenige Minuten später leuchteten die Straßen in allen möglichen LED-Farben: ‚Aaaah die Technikstraße!‘
Selbstbewusst und zuversichtlich gehen wir in das erste Geschäft rein… und wieder raus. Solaranlagen gab es hier keine. Fünf Stunden und 20 Facebook-Kontakte später mussten wir dann akzeptieren dass wir hier keine Solaranlagen finden würden.
Wir fragten bei unzähligen Geschäften und Straßenverkäufern nach, lernten ganz abgelegene Gegenden der Stadt kennen, aber das Ergebnis blieb dasselbe: Keiner konnte ein Solargeschäft in Hanoi ausfindig machen… Wie sich noch am selben Tag herausstellte befinden sich fast alle Solargeschäfte Vietnams im Süden des Landes, zwischen Ho Chi Minh und Da Nang. Na toll!
Neuer Tag, neues Glück, neue Taktik: Eine Internetrecherche auf Vietnamesisch! Das Problem: „Hmmm… Verstehen wir nicht!“ (Überraschung!). Also haben wir uns neben unseren (sehr) geduldigen Rezeptionisten gesetzt und Stunden später in einem winzigen vietnamesischen Onlineshop einen Hersteller in Ho Chi Minh gefunden.
Nach einigen Telefonaten (die Geduld unseres Rezeptionisten wurde dabei erheblich auf die Probe gestellt…) konnten wir dann auch den einzigen Zwischenhändler in Hanoi ausfindig machen. Welch eine Erleichterung! 🙂
Doch statt in einem Solargeschäft saßen wir am nächsten Morgen in einem kleinen Wohnzimmer weit außerhalb der Stadtmauern, in einer Gegend, in der unser Taxifahrer nach langer verzweifelter Suche entschied uns lieber auf Moped-Taxis umzuverfrachten und in der wir uns immer wieder fragten, wo in aller Welt wir hier gelandet waren.
Eine unerwartete Überraschung: Wir werden im Wohnzimmer dieser freundlichen Familie endlich fündig!
Wie auch immer Vietnam funktioniert haben wir bis heute nicht zu 100% verstanden, haben keinen blassen Schimmer wo wir waren, keine Ahnung welche Firma dahinter steckte und vor allem können wir bis heute kaum glauben dass wir es geschafft haben diese 20 Solaranlagen zu bestellen, den Preis zu verhandeln, ein Lieferdatum und eine Adresse zu vereinbaren.
Aber es hat funktioniert! 🙂
Uns wurde ein passendes Solarsystem gezeigt („Made in Vietnam!“), es wurde sogar ein Kaufvertrag unterschrieben inklusive Garantieleistungen (ja, wir waren auch sehr überrascht!) und drei Tage später stand tatsächlich ein Mopedfahrer vor unserem Hotel, der auf jeder Seite seines Hinterrades 10 Solaranlagen gestapelt hatte.
- Lektion Nr. 2: Man muss in Asien nicht immer verstehen wie etwas funktioniert, oft reicht es auch einfach aus darauf zu vertrauen. 🙂
Hier ein kurzes Video zu den Solarsystemen und deren Nachhaltigkeit:
Politische Situation in Yen Minh & das große Problem mit China
Wir hatten nun ganze fünf Tage gebraucht um geeignete Solarsysteme zu kaufen, eine super liebe Deutsch-Studentin zu finden die uns als Übersetzerin begleiten würde und einen Fahrer zu organisieren der uns und die über 100kg Solaranlagen nach Yen Minh bringen sollte.
Und auch die erforderlichen Genehmigungen wurden seitens des Bezirks bereits beantragt. Also mal wieder alles klar, oder?
Nun ja, da haben wir unsere Rechnung ganz ohne die vietnamesische Bürokratie gemacht. Einen Tag vor Abfahrt erhielten wir einen Anruf: „Keine Chance, eine wichtige Genehmigung fehlt“. Bitte was?! Der Schreck war groß.
Und das viel größere Problem war, dass wir auch keinen blassen Schimmer hatten um welche Genehmigung es sich handelt, woher wir diese bekommen sollen und wie lange wohl die Beantragung dauern würde. Zudem war ausgerechnet der 30. Dezember, der letzte Arbeitstag in 2016 und sämtliche Ämter würden erst wieder am 3. Januar öffnen.
- Lektion Nr. 3: Keine Panik. Tief durchatmen, Ruhe bewahren und nachdenken. Irgendeine Lösung ergibt sich immer.
Aber was ist denn nun das große Problem im Yen Minh Distrikt? Warum ist es für uns als deutsche Hilfsorganisation (bzw. NGO – Nichtregierungsorganisation) so schwer dort aktiv zu werden? Die Antwort lautet: China.
Die Distrikthauptstadt Yen Minh liegt keine 20km von der chinesischen Grenze entfernt. Die chinesische Kontrolle im gesamten Grenzgebiet ist groß und sogar „normale Touristen“ benötigen – ähnlich wie in Tibet – (wenn auch nicht ganz so kompliziert) eine schriftliche Genehmigung um diese Gegend bereisen zu dürfen.
Und internationalen Hilfsorganisationen stehen die Behörden grundsätzlich sehr skeptisch gegenüber (man darf auch nicht vergessen dass nicht nur China, sondern auch Vietnam aus einem kommunistischen Einparteiensystem besteht!).
- Lektion Nr. 4: Der Einfluss Chinas ist auch außerhalb seiner Landesgrenzen enorm und auch das kommunistische Einparteiensystem Vietnams bedeuten für diese Region generelles Misstrauen gegenüber ausländischen NGO’s…
Mittlerweile sehr geübt darin Problemlösungen zu finden (6 Monate Weltreise haben hier sehr positive Spuren hinterlassen), haben wir im ersten Schritt andere Hilfsorganisationen angeschrieben die in Vietnam tätig sind um herauszufinden wie das mit der Genehmigung läuft.
Keiner von ihnen hatte jemals eine Genehmigung vorlegen müssen!
Das hat uns nicht gerade Mut gemacht. Im Nachhinein wissen wir, dass diese Genehmigung erst seit einem Zwischenfall 2010 benötigt wird. Vietnamesische Organisationen, die bereits länger dort tätig sind wurden davon allerdings verschont.
Um sicherzustellen dass wir unsere Projekte noch umsetzen könnten (unser Flieger nach Kuala Lumpur ging bereits 10 Tage später!) fingen wir parallel an uns nach alternativen Provinzen umzuschauen… Die Zeit wurde knapp und unsere Zuversicht sank mit jeder Stunde.
Endlich war der dritte Januar da und wir griffen aufgeregt zum Hörer. Erste Amtshandlung: Im Distrikt noch einmal nachfragen ob sich in der Zwischenzeit das Problem gelöst hat (Südostasien… Man weiß ja nie! 😉 ). Was wir bis dahin nicht ahnen konnten war, dass unser Projekt riesige Wellen geschlagen hatte. Warum können wir uns allerdings bis heute nicht erklären.
Den Grund kennen wir mittlerweile: Wir wären die erste internationale Hilfsorganisation die jemals in diesem Teil der Provinz tätig sein würde und teilweise sogar die ersten Westler, die manche der Bergdörfer besuchen würden. Unvorstellbar, aber wahr. Nicht nur alle Behörden im Distrikt, sondern auch der Provinzvorstand und sogar die Beamten auf Landesebene in Hanoi waren informiert.
Mit anderen Worten: Das Innenministerium wusste Bescheid, die Alarmglocken gingen an und ein unkomplizierter Weg ohne eine offizielle Genehmigung schien absolut ausgeschlossen.
Zu unserer großen Enttäuschung war auch die zwischenzeitlich parallel angestoßene Projektsuche erfolglos. Zwar gab es auch in südlicheren Distrikten (für die wir eigentlich keine Genehmigung bräuchten?) ganze Dörfer ohne Strom, aber wir wurden aus (für uns) unerklärlichen Gründen abgelehnt. Die Stimmung war mies, wir waren am Tiefpunkt angelangt!
Und da standen wir nun mit unserem Willen zu helfen, einem Warenwert von knapp 1.500€ und waren mit unserem Latein am Ende. Mehr konnten wir einfach nicht tun…
- Lektion Nr. 5: Durchhalten und den Glauben an das Unmögliche nicht verlieren.
- Lektion Nr. 6: Wir werden niemals die komplexen politischen Zusammenhänge vollständig durchschauen.
- Lektion Nr. 7: Ein Auftritt als offizielle Deutsche NGO kann große Wellen schlagen und muss nicht immer positiv sein.
- Lektion Nr. 8: Als Privatpersonen hätten wir die Solaranlagen vermutlich einfach „unter der Hand“ installieren können ohne die vielen bürokratischen Hürden (aber hohem Gefängnisrisiko! 😉 ).
Aufpasser der Regierung, Übersetzer, Fahrer & eine Expedition in eine der am schwersten zu bereisenden Gegenden Vietnams
Letzen Endes war es der Manager unseres Hostels, der nach langwierigen und zähen Verhandlungen einen Deal mit den Bürokraten aushandelte:
Wir mussten die Solaranlagen offiziell an eine vietnamesische Hilfsorganisation verschenken die bereits in diesem Gebiet tätig war und einige lokale Kontakte hatte. Dann sollten wir als Privatpersonen (sprich „normale Touristen“) nach Yen Minh reisen und der NGO vor Ort lediglich beratend zur Seite stehen.
Wir würden auch zwei vietnamesische ‚Aufpasser‘ bekommen die regelmäßig an die Regierung berichten müssten und wir selbst dürften voraussichtlich gar nicht an der aktiven Umsetzung beteiligt sein. Aber, und das ist der wohl größte Haken: Wir bekamen lediglich eine ‚Aufenthaltserlaubnis‘ von zwei Tagen! Die wohl spannendste Herausforderung unserer Vietnam-Solarprojekte…
- Lektion Nr. 9: Auf hilfsbereite Vietnamesen ist IMMER Verlass und jeder hilft mit all seinen Mitteln und Kontakten weiter. Wo ein Vietnamese, da eine Lösung. 🙂
- Lektion Nr. 10: Man darf die Hoffnung nie aufgeben. (Siehe Lektion Nr. 3 und Lektion Nr. 5!) 😉
Unser tolles Helferteam mit viel Geduld und Verständnis für unsere Probleme 😉
Es grenzt an ein Wunder. Sechs Tage zäher Verhandlungen sind vorüber und wir sind unendlich gespannt darauf was uns in Yen Minh erwartet und wie diese Expedition mit Aufpasser, Fahrer, Übersetzer und Helferteam wohl in der Praxis aussehen wird.
Aber auf uns lastet auch eine sehr große Verantwortung. Erstens müssen wir uns natürlich extrem vorbildlich verhalten und uns darf bei der Umsetzung nicht ein einziger Fehler passieren.
Denn wenn wir auch nur eine Kleinigkeit falsch machen, wird es für nachfolgende internationale NGO’s wahrscheinlich vollkommen unmöglich sein in dieser Gegend aktiv zu werden und auch die vietnamesische NGO, die für uns und unsere Projekte bürgt, würde große Probleme bekommen.
Uns wurde auch versichert dass sich viele Menschen in der lokalen Regierung sehr für uns engagiert haben und nun nicht weniger als ihre Arbeitsstellen zu befürchten haben wenn irgendeine Unregelmäßigkeit auftreten sollte…
Aber für einen Rückzieher ist es nun zu spät. Außerdem haben wir die Bilder der Schulkinder und Lehrer im Kopf die auf uns vertrauen und denen wir unsere Hilfe fest versprochen haben. Wir werden also das tun, was wir immer tun: Unser Bestes geben, Vertrauen schenken und aus Überzeugung handeln.
Drückt die Daumen.
Die wunderschöne Berglandschaft im Norden Vietnams…
Unser reisefroh Fazit
Wir wurden vor so viele politische, bürokratische, logistische und organisatorische Hürden gestellt, sind an den bilateralen Beziehungen zum großen Nachbarn China angeeckt und nach über vier Wochen intensiver Arbeit haben wir es tatsächlich geschafft:
Wir dürfen nach Yen Minh, wir dürfen unsere Solaranlagen in den Bergdörfern installieren.
Wir werden morgen (06.01.2017) aufbrechen in eine der am schwersten zu bereisenden Regionen Vietnams, werden bei den Dorfbewohnern leben, von Regierungsbeamten und Lokalpolizei überwacht werden und auf uns lastet eine enorme Verantwortung.
Aber es steht auch fest dass wir unglaubliche Erlebnisse und faszinierende Begegnungen machen werden. Wir hätten uns die Ausmaße dieses Projekts niemals ausmalen können und jetzt können wir es kaum erwarten, all das umzusetzen.
Yen Minh, wir kommen!
Falls Du die komplette Story unserer Solarprojekte in Vietnam nachlesen möchtest gibt’s hier die Artikel dazu:
- Teil 1: 20 Schulräume brauchen Licht
- Teil 2: Vorbereitungskrimi Vietnam
- Teil 3: Abenteuer Vietnam – Projektumsetzung
- Teil 4: Projektkosten, neue Kooperation und ein großes Dankeschön
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